Samstag, 19. Mai 2012

Architektur bis auf die Knochen - Teil I


Keine Angst, folgender Beitrag wird weder allzu gruselig noch blutig, sondern vielmehr beschäftige ich mich mit einer äußerst spannenden Verbindung: Nämlich der von Knochen bzw. Skeletten mit Architektur.

Erstmals entstand diese vermutlich in der prähistorischen Verwendung von Mammutkadavern, was 45.000 Jahre alte Funde aus Westeuropa offenbaren. Die riesigen Stoßzähne, Knochen und Schädel eigneten sich hervorragend als Grundgerüst für die Errichtung von Hütten und Unterschlüpfen und war im Gegensatz zu Holz ein ausreichend verfügbares Baumaterial.
Als Werkstoffe verloren Skelette in den den darauf folgenden Jahrtausenden zwar ihre Bedeutung, jedoch tauchten sie in anderer Form bis heute immer wieder auf.

So entstanden zum Beispiel in bedachten Gewölben und Kellern Beinhäuser, welche nach dem lateinischen Wort für Knochen os, auch Ossarium genannt werden. In solchen Räumen konnten gestapelt  vergleichsweise viele Gebeine von Verstorbenen aufbewahrt werden, weshalb solche aus Platzmangel auf Friedhöfen oder in Gegenden mit starken Bevölkerungswachstum entstanden. Ein bekanntes Beispiel sind die Katakomben im Pariser Untergrund, welche ungefähr 6 Millionen Gebeinen eine Ruhestätte bietet.

Einen wirklich künstlerischen Mehrwert besitzt aber erst das Ossarium im tschechischen Sedletz. Ab 1870 wurden im Kellergeschoss der katholischen Klosterkirche 10.000 menschliche Skelette durch den Tischler František Rint in eine neue Ordnung gebracht - und diese hat es in sich. So entstanden im Innenraum filigrane Schädel-Girlanden, ein knöcherner 8-armiger Lüster, Familienwappen oder riesige Glocken vollkommen aus Teilen des Skelettes.

Wappen der Familie Schwarzenberg und Lüster aus allen 206 Knochen des Menschen  (Fotos: world_virus, chmouel)

Ob ich eher fasziniert oder abgeschreckt von der durchaus morbiden Schönheit des Knochenkabinetts bin, kann ich zwar nicht zweifellos sagen, dennoch hinterlassen sie einen bleibenden Eindruck.

Ein weniger schauriges Beispiel für die Verwendung von Skeletten in der Architektur, entdeckte ich an der 1790 vollendeten Fassade des kürzlich sanierten Anatomischen Theaters inmitten des Charité-Geländes. Hier schmücken statt typischen Stilelementen des Klassizismus gipserne Tierschädel Fenster und Türeingänge und weisen so auf die ursprüngliche Nutzung als Hör- und Vorführsaal der Tierarzneischule hin.


Anatomisches Theater von C. G. Langhans vor und nach der Fassadenrestaurierung


Meine kleine Architektur-Anatomie ist vorerst beendet, aber es gibt noch einiges Spannendes zum Thema: Der Sprung in die Neuzeit folgt dann im zweiten Teil!

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